Geschichte, Bedeutung und Grundlagen der Fermentation
Blick in die Vergangenheit
Eines der ältesten Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln ist die Fermentation mithilfe von Milchsäurebakterien und Hefen. So wurden Wein, Käse, Brot und Bier schon in der Antike hergestellt. Die Wissenschaft beschäftigt sich aber erst seit gut 120 Jahren mit den Gärungsvorgängen. Denn die Herstellung von fermentierten Lebensmitteln war nicht immer so einfach. Vor der Einführung der Presshefe beschreibt Parmentier, ein französischer Pharmazeut und Agronom, (1802) die Erlebnisse mit Hefe wie folgt: „Eine Triebkraft ändert sich in jedem Augenblick; ein Gewitter, ein Südwind, usw. genügen, um ihre Wirksamkeit aufzuheben. Wie oft haben wir sie von den Bäckern verfluchen hören?“ In den 1890er-Jahren führte Emil Christian Hansen den Hefe-Reinzuchtapparat ein. Damit war es möglich, einzelne Zellen aus dem Labormaßstab in technisch benötigten Mengen in Reinkultur hochzuzüchten. Besonders in Brauereien und Brennereien verbreitete sich der Reinzuchtapparat schnell. Auf dem Gebiet der Bakterien war es aber immer noch üblich, sich beim Auftreten von Fehlfermentationen eine Säurekultur aus einer benachbarten Molkerei oder Bäckerei zu besorgen. Das war jedoch nicht immer von Erfolg gekrönt. Angeregt durch einen befreundeten Bäcker unternahm Ernst Böcker, Brennmeister aus Minden, zu Beginn des 20. Jahrhunderts Versuche, die Technik der künstlichen Hefe-Reinzucht auf Milchsäurebakterien für das Bäckergewerbe zu übertragen. Am Ende der Bemühungen (1908) stand die Kaiserliche Patentschrift für einen „Apparat zum Säuern von Teig und dergl.“ Diese Entdeckung war der Grundstein für unser Familienunternehmen.
Fermentation durch Hefe und Milchsäurebakterien
Um Brotteig aufgehen zu lassen, ist die Bildung von Kohlendioxid im Teig notwendig. Kohlendioxid sorgt im Brot für die Porung, also die „Löcher“. Dies kann chemisch, z. B. mit Backpulver, oder biologisch mithilfe von Hefen und Milchsäurebakterien im Sauerteig erfolgen. Aus dem Abbau von Stärke entstehen durch Enzyme Zuckerstoffe, die den Mikroorganismen als Nahrung dienen. Hefen bilden dabei unter Luftabschluss Alkohol und Gas (Kohlendioxid, CO2). Bei den Milchsäurebakterien gibt es gasbildende (heterofermentative) und nicht gasbildende (homofermentative) Arten. Homofermentative Milchsäurebakterien bilden aus Glucose nahezu ausschließlich Milchsäure, während heterofermentative Milchsäurebakterien zusätzlich auch Alkohol (Ethanol), Essigsäure
und Gas (Kohlendioxid) bilden können.
Innerhalb der fermentierten Lebensmittel nimmt Sauerteig eine Sonderstellung ein. Aus keinem Lebensmittel wurde bisher eine solche Anzahl unterschiedlicher Mikroorganismen isoliert. Sie sind meist an die besonderen Verfahrensbedingungen während der Sauerteigfermentation angepasst. Viele davon wurden bisher ausschließlich nur aus Sauerteig isoliert.
Sauerteig früher und heute
Sauerteig ist nicht nur ein Gemisch aus Mehl und Wasser. Sauerteig ist ein von Milchsäurebakterien und Hefen vergorenes Fermentationsprodukt. Der Sauerteig selbst wird nicht verzehrt, sondern er stellt ein Zwischenprodukt bei der Herstellung von Brot und Backwaren dar. Die Vorgänge im Sauerteig sind mikrobiologisch vielschichtig und müssen gezielt durch Temperatur und Zeit gesteuert werden. Früher dienten Sauerteige vor allem der Einleitung des Triebes sowie der Lockerung des Teiges, was durch die Einführung der Bäckerhefe zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber in den Hintergrund trat. Neben der Teiglockerung hatte Sauerteig auch die wichtige Eigenschaft, Roggenmehl backfähig zu machen. Durch Züchtung neuer Roggensorten, welche deutlich geringere Enzymaktivitäten haben, verliert diese Wirkung jedoch an Bedeutung. Heutzutage werden Sauerteige auf verschiedene Arten eingesetzt. Sauerteig-Starter dienen zur Herstellung eines betriebseigenen Sauerteiges; hingegen können flüssige, trockene sowie pastöse Sauerteige direkt im Teig verwendet werden (Ready-to-use). Dadurch entfällt die zeitraubende und nicht ganz einfache Führung eines Betriebssauerteiges. Zunehmend werden Sauerteige auch als Geschmacks- und Aromaträger wichtig. Vor allem getrocknete Sauerteige sorgen für intensive Röstaromen in fertigen Gebäcken. Aus diesem Grund werden auch zunehmend Backwaren aus Weizenmehl mit Sauerteig veredelt.
Der Sauerteig in der Anwendung
Im Laufe der Zeit haben sich unzählige Verfahrensvarianten der Teigfermentation herausgebildet. Sie basieren auf praktischen Erfahrungen und Beobachtungen. Sowohl im Weizen- als auch im Roggenbereich können diese unzähligen Varianten auf zwei Prinzipien zurückgeführt werden: einstufige (z. B. Detmolder Einstufenführung) und mehrstufige Führungen (z. B. Detmolder Dreistufenführung, Panettoneherstellung). Beide Verfahren haben ihre Vor- und Nachteile.
Da der Bäcker in seiner Sauerteigfermentation Milchsäurebakterien und Hefen züchtet, sollte er sich auch als Biotechnologe verstehen. In Abhängigkeit von der eingesetzten Mikroflora und der Art der Sauerteigführung gilt es, einige Grundregeln zu beachten. Der wichtigste Parameter ist die Einhaltung der richtigen Temperatur. Die Wahl der richtigen Temperatur ist abhängig von der Art der eingesetzten Mikroflora. Ebenso wichtig ist eine ausreichende Menge Anstellgut (Impfgut), sowie das Einhalten von Mindestgärzeiten und die Einhaltung der Fermentationszeiten. Dies gilt für jede Stufe der Sauerteigfermentation, um Fehlgärungen bzw. einen zu jungen Sauerteig zu vermeiden. Mit welcher Führungsweise der Sauerteig hergestellt wird, sollten Bäcker vom Betriebsablauf bzw. von den Betriebserfordernissen abhängig machen. Die Art der Führungsweise sollte dem Betriebsablauf angepasst werden und nicht umgekehrt. Sowohl mit Einstufensauerteigen wie auch mit Mehrstufensauerteigen sind qualitativ hochwertige Sauerteigbrote herstellbar.