Brot-Sommelier Martin Göttlich führt durch die Welt des Sauerteigs
Teil 5 – Die Veränderung des Roggenmehls und ihre Auswirkungen
Trotz handwerklicher Perfektion trocknen Brote heute schneller aus. Ein Hauptgrund ist die veränderte Roggenmehlqualität, die zunehmend zu „trockenbackenden Roggenmehlen“ führte. Seit 1960 haben sich die Fallzahlen von Roggenmehl verdoppelt bis verdreifacht, während die Verkleisterungstemperatur der Roggenstärke von ca. 59 °C auf 74 °C stieg.
Amylasen, die für den Stärkeabbau essenziell sind, haben ihr Aktivitätsoptimum bei ca. pH 5,5 und zwischen 50 und 70 °C. Sie können Stärke erst nach der Verkleisterung abbauen. Da die Verkleisterungstemperatur gestiegen ist, passiert dies zu spät im Backprozess – die Amylasen denaturieren vorher und können die Stärke nicht mehr ausreichend abbauen. Dadurch bleibt die Krume trocken und fest. Gleichzeitig beschleunigt sich die Retrogradation, wodurch Brot schneller altbacken wird.
Diese Veränderungen sind auf klimatische Bedingungen und Züchtungen zurückzuführen, die die Enzymaktivität reduzierten. Die Werte der Ernte 2024 (Fallzahlen ca. 250–330 s, Amylogrameinheiten ca. 680–1200, Verkleisterungstemperatur ca. 68–76 °C (Arithmetisches Mittel Mitteldeutschland)) zeigen, dass das Problem weiterhin besteht.
Die Verkleisterungstemperatur liegt mittlerweile über der Denaturierungstemperatur der Amylasen. Dadurch stehen von Anfang an weniger Enzyme zur Verfügung, und die wenigen verbleibenden Enzyme können ihre Arbeit nicht rechtzeitig verrichten. Dies führt zu unverkleisterter Stärke, die die Retrogradation und somit das Altbacken begünstigt.
Lösungsansätze für den Umgang mit trockenbackendem Roggenmehl
Bäckerinnen und Bäcker haben verschiedene Möglichkeiten, um mit „trockenbackenden Roggenmehlen“ umzugehen. Diese Mehle führen zu einer schlechteren Frischhaltung, trockener Krume und schnellerer Brotalterung. Ein zentraler Faktor ist die Aktivität der Amylase, die nicht als unerwünscht betrachtet werden sollte. Sie unterstützt den Sauerteigprozess, fördert die Maltosefreisetzung für Mikroorganismen und trägt zur Maillard-Reaktion bei.
Ein optimal geführter Sauerteig ist unerlässlich, um schwankende Roggenmehlqualitäten auszugleichen. Mehrstufige Führungen, insbesondere die Vollsauerführung, verbessern die Brotaromen und Frischhaltung. Doch selbst mit Sauerteig erzielen viele Bäckerinnen und Bäcker nicht das gewünschte Ergebnis, weshalb weitere Methoden nötig sind.
Quell-, Brüh- und Kochstücke bieten sich als wirksame Maßnahmen an. Während Quellstücke Feuchtigkeit speichern, verkleistert bei Brühstücken bereits ein Teil der Stärke, wodurch Amylasen sie besser abbauen / spalten können. Kochstücke gehen noch weiter: Sie verkleistern die Roggenstärke vollständig, verlangsamen die Retrogradation und verbessern die Frischhaltung. Auch der Einsatz von Restbrot (Brotpudding) in der Brotteigherstellung bietet Vorteile, erfordert jedoch hygienische Sorgfalt und kann den Säuregehalt unkontrolliert beeinflussen. Ein weiterer Trend ist die Langzeitführung, die enzymatische Prozesse im gesamten Teigling fördert. Dies verbessert das Aroma, die Textur und Frischhaltung und ermöglicht zugleich eine flexiblere Produktion.
Letztlich hängt die beste Lösung von den individuellen Betriebsbedingungen ab. Der richtige Einsatz von Sauerteig, Vorteigen und Kochstücken erfordert Fachwissen und eine angepasste Rezeptur. Doch mit gezielter Planung lassen sich auch mit „trockenbackenden Roggenmehlen“ hochwertige Brote herstellen.
